Kein Eisenbahnunglück im klassischen Sinn, sondern ein Terroranschlag mit Mafia-Hintergrund:
Vor 30 Jahren:
23. 12. 1984: [Bombenanschlag im Apennin-Basis-Tunnel, Italien]
Ausgangssituation:
Der Rapido 904 verkehrt von Napoli Centrale nach Milano Centrale. Aufgrund des bevorstehenden Weihnachtsfestes ist er mit 700 Reisenden überbesetzt. Sein letzter Verkehrshalt vor dem Anschlag ist der Bahnhof Firenze Santa Maria Novella. Dort hat der Attentäter die Bombe in einer Gepäckablage in einem Wagen 2. Klasse in der Mitte des Zuges deponiert. Sie ist mit einem ferngesteuerten Zünder versehen.
Kurz vor Bologna, gegen 19 Uhr, muss der Zug den 18,5 km langen Apenninbasistunnel durchfahren. Der Zug fährt hier mit etwa 150 km/h.
Anschlag und die Folgen
Um 19:08 Uhr ist der Zug etwa 8 km weit in den Tunnel hineingefahren. In diesem Moment löst der Attentäter per Fernsteuerung die Explosion der Bombe aus. Damit stellt er sicher, dass die Zerstörungskraft der Bombe zu groß wie möglich ist. Der Druck der Explosion ist so stark, dass die meisten der doppelt verglasten Scheiben des Zuges und auch die Innenverglasung eingedrückt werden. Die umherfliegenden Glassplitter verletzen viele.
Da die Notbremse gezogen wird, erfolgt eine Zwangsbremsung und der Zug kommt etwa 8 km vor dem nördlichen Tunnelausgang zum Stehen. Der Schaffner des Zuges, selbst verletzt, kann eines der Diensttelefone im Tunnel erreichen und Hilfe herbeirufen. Die aber ist nur sehr schwierig zu leisten. Zunächst kommt am südlichen Ende Rauch aus dem Tunnel, was die dort ankommenden Rettungsfahrzeuge hindert, in den Tunnel hineinzufahren. Dies erweist sich letztendlich aber als glücklicher Umstand, da starker Nordwind den Tunnel so von Rauch und Staub frei bläst. Niemand weiß, was geschehen ist. Das Licht im Zug erlischt nach und nach, als die Batterien in den Wagen erschöpft sind. Es dauert 1 ½ Stunden, bis die ersten Rettungsfahrzeuge bis an den Zug herangefahren können. Aber auch dann ist die Rettung schwierig in der engen Tunnelröhre. Durch die vorherrschende Windrichtung bleibt aber der nördliche Tunnelabschnitt relativ gut zugänglich. Dieser führt in Richtung auf das nahe gelegene Bologna, wo Krankenhäuser und andere Hilfsdienste zur Verfügung stehen. Nach dem Attentat auf den Italicus Express 1974 und dem Anschlag auf den Bahnhof Bologna Centrale 1980 bestehen Notfallrettungspläne, die nun greifen.
Der beschädigte Zug wird abschnittsweise geborgen: Zunächst zieht eine Diesellokomotive den vorderen Zugteil aus dem Tunnel, sodass die Rettungskräfte direkt an den Wagen kommen, in dem die Bombe explodiert ist. Dann wird ein Hilfszug in den Tunnel geschickt. Noch immer wird das Ausmaß des Anschlags unterschätzt: Lediglich ein Arzt befindet sich in dem Hilfszug. Mit diesem Zug werden die Verletzten aus dem hinteren Zugteil geborgen, in den Bahnhof von San Benedetto Val di Sambro und anschließend mit Rettungsfahrzeugen über die Straße zu einem Krankenhaus in Bologna gefahren. Der Hilfszug wird sofort wieder in den Tunnel geschickt, um weitere Reisende herauszuholen. Die Abgase der Diesellokomotive stellen ein weiteres Problem dar: An die noch im Tunnel Verbleibenden müssen Sauerstoffmasken ausgegeben werden.
Motiv:
Der Bombenanschlag solle dazu dienen, die italienischen Sicherheitskräfte von Untersuchungen gegen die Cosa Nostra abzulenken, nachdem im September das Geständnis des ex-Mafiosos Tommaso Buscetta gegenüber dem Mafia-Ermittler Giovanni Falcone zu einer Reihe von Haftbefehlen geführt hat und schließlich in einem Großverfahren gegen 474 Mafiosi endet. Zunächst geraten allerdings extreme politische Gruppen in Verdacht, das Attentat verübt zu haben. Es gehen auch Bekennerschreiben sowohl rechts- als auch linksradikaler Gruppierungen ein.
Gerichtliche Aufarbeitung
Im März 1985 werden die Mafia-Bosse Pippo Calò und Guido Cercola in Rom wegen Drogenschmuggels verhaftet. Am 11. Mai findet man im Keller von Calòs Versteck in der Nähe von Poggio San Lorenzo Waffen, Fernsteuerungen und den gleichen Sprengstoff, der beim Anschlag auf den Schnellzug 904 verwendet wurde. Im Januar 1986 erhebt Staatsanwalt Pier Luigi Vigna Anklage gegen Calò und Cercola. Cercola hat Verbindungen zu dem deutschen Sprengstoffexperten Friedrich Schaudinn.
Im Februar 1989 wird Giuseppe Calò für die Organisation des Bombenanschlag verurteilt. Ihm werden Verbindungen sowohl zur Camorra als auch zu rechtsextremistischen, neofaschistischen Gruppen und zur Geheimorganisation Propaganda Due nachgewiesen. Er und weitere angeklagte Mafiosi erhalten lebenslange Haftstrafen. Diese werden auch in den Verfahren der folgenden Instanzen aufrechterhalten. Schaudinn kann fliehen. Zwei zu geringeren Strafen verurteilte Mittäter werden 1991 von der Mafia ermordet. Erst im April 2011 kann Salvatore Riina, Oberhaupt der Sizilianischen Mafia-Organisation, als der hinter dem Anschlag Stehende verurteilt werden.
Der gleiche Sprengstoff, mit dem der Anschlag auf den Rapido 904 erfolgte, wird auch am 19. Juli 1992 bei dem Attentat auf Untersuchungsrichter Paolo Borsellino verwendet, der gegen die Mafia ermittelte.
Opferbilanz: 17 Tote, 267 Verletzte.
Quelle: Wikipedia