Ein Hauch von Geschichte

  • Liebe Forengemeinde!

    Die Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 2012 war nicht nur jene des Fahrplanwechsels 2012/2013 sondern auch eine historische Wende im Eisenbahnbetrieb Wien. Der Bahnhof Wien Süd Ostseite stellte seinen Betrieb ein. Damit ist der Bahnbetrieb am Wiener Südbahnhof endgültig Geschichte und die letzten Reste dieses Bahnhofes werden in den kommenden zwei Jahren aus dem Bild der Stadt verschwinden. Gleichzeitig hat der Wiener Hauptbahnhof den provisorischen Betrieb aufgenommen.

    Die Ostseite des Wiener Südbahnhofes stand immer ein wenig im Schatten des großen Bruders auf der Südseite. Von 1953 bis zur Wende im Jahre 1989 führten die Strecken vom Ostbahnhof zum eisernen Vorhang nach Ungarn und in die Tschechoslowakei, dementsprechend gering war daher auch der internationale Reiszugverkehr. Nach 1989 änderte sich die Situation schlagartig und für rund 20 Jahre kehrte auch auf der Ostseite der Geruch der großen weiten Welt ein.

    Berühmt war der Empfang von Nikita Chrustschow am Ostbahnhof, welcher zum Treffen mit John. F. Kennedy per Bahn nach Wien reiste. Für viele Menschen war der Ostbahnhof auch der erste Eindruck des goldenen Westen und wie viele Agenten und Spione der westlichen und östlichen Geheimdienste für ihre Fahrten hinter den Eisernen Vorhang diesen Bahnhof benutzten wird wohl immer ein gut gehütetes Geheimnis bleiben.

    Der endgültige Abschied vom alten Südbahnhof wurde würdig gestaltet: Der letzte Schnellbahnzug 26075, welcher den Ostbahnhof um 23:48 Uhr nach Bruck an der Leitha verließ, wurde mit der 52.100 und Zweiachsern gebildet. Ich bin diesem Zug mit Fotofreunden ein wenig gefolgt.

    Dann ging es weiter durch eine eiskalte Nacht nach Mistelbach Lokalbahn, wo am Morgen des 9.12.2012 die historische Wanderung fortgesetzt wurde. 93.1420 und 52.4984 standen angeheizt bereit, um den planmäßigen Rübenzug 74292 von Mistelbach LB nach Hohenau zu bringen. Eine Leistung die noch 1975/76 planmäßig beobachtet werden konnte.

    Begleitet mich ein wenig auf einer kleinen historischen Wanderung im Nordosten Österreichs. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen guten Geistern und Menschen bedanken, welche diese herrlichen Impressionen möglich machten.

    Wir beginnen unsere Fahrt auf der Donauländebahn, wo ich die 1042.23 mit dem SLP 19227 bei der Zuführung zum Ostbahnhof erstmalig aufnehmen konnte.

    In Wien Erdbergerlände wartete der 19227 auf die Beigabe der 52.100, welche als Lokzug 19228 aus Straßhof zugeführt wurde. Zeit genug um die 1042.23 aufzunehmen. Alleine der eisige, starke Wind machte ordentlich Schwierigkeiten um eine scharfe Langzeitbelichtung zu bekommen.

    Wenig später war die 52.100 eingetroffen und sie hatte einen dezenten Schmuck, welcher auf die letzte Ausfahrt vom Ostbahnhof hinwies. Nach Ankuppeln und Bremsprobe ging es weiter nach Wien Südbahnhof (Oststeite) wie der Ostbahnhof zum Schluss offiziell hieß.

    Diese Szene war in den frühen Achtziger Jahren typisch. Die Pendlerzüge wurden auf der Ostbahn noch lange Zeit aus zweiachsigen Spantenwagen gebildet und mit Loks der Baureihe 1042 bespannt, wenn auch zumeist mit südbahner 1042.500. Am 8.12.2012 war es aber die 1042.23 aus Wien West, welche mit den Zweiachsern eintraf.

    Der elektrische Betrieb bis Hegyeshalom wurde erst 1976 aufgenommen. Vorher waren Dieselloks aber auch die Baureihe 52 regelmäßig in Wien Ost anzutreffen. Daher erfolgte die Verabschiedung standesgemäß. Dank auch an die disziplinierte Fotografenschar.

    Als wirklich letzter Zug verließ die 1042.23 als Lokzug 19232 den Ostbahnhof nach Bruck an der Leitha. Sie diente zur Brandbeobachtung bei Außentemperaturen von rund 10 Grad unter Null…

    Wir verabschieden uns auch vom Ostbahnhof und fahren in tiefer Nacht nach Himberg, wo es mitten in der Nacht betrieblich interessant zuging. Zuerst traf die 52.100 mit dem Regionalzug 14168 ein. Sie setzte später ihre Fahrt als Lokzug 95007 nach Straßhof fort.

    Als nächstes traf die 1042.23 ein, welche dem R 14168 als Lz 95005 im Blockabstand gefolgt war. Diese Gegenüberstellung hätte es 1974 oder 1975 auch planmäßig in Himberg geben können…

    Danach übernahm die 1042.23 den 14168 um ihn nach Wien Heiligenstadt zu bringen. Vom eisigen Wind völlig durchgefroren machten wir uns auf den Weg nach Mistelbach, wo es am Morgen weitergehen sollte.

    Der 9.12.2012 war ein bitterkalter aber klarer Tag. Die Nacht war mit rund -10 Grad sehr ungemütlich den beiden Stars des Tages schien das aber vorerst nichts auszumachen. Ruhig warteten sie in der Zugförderungsstelle Mistelbach auf ihren Auftritt.

    Wie in alten Zeiten präsentiert sich die 93.1420 beim zweiten Langschuppen in Mistelbach Lokalbahn auf. Es scheint hier wahrlich die Zeit stehengeblieben zu sein, bis 1976 war die Zfst. Mistelbach das betrieblich Zentrum der Nebenstrecken im Weinviertel.

    Die 52.4984 macht die Parade perfekt. Allerdings war der Dame etwas zu kalt in der Nacht und konnte morgens nur schwer in Gang gesetzt werden, aber es gelang dem engagierten Personal sie flott zu machen, bravo!

    Sonne, kalte Luft und Dampflok – Garanten für schöne Bahnbilder. Die 93.1420 stellt die Garnitur des Vortages weg und verursacht damit die Scheinausfahrt eines Personenzuges.

    Auch der 1.200 Tonnen schwere Rübenzug 74292 muß richtig ins Bild gesetzt werden, also stellt die 52.4984 die Garnitur um, dabei zeigte sich die nächste Bescherung: Die Wagenbremsen waren durch die Kälte teilweise eingefroren, an eine taugliche Ausfahrt daher vorerst nicht zu denken.

    Gegen 12:00 Uhr waren dann alle Probleme behoben und 93.1420 und 52.4984 setzten den Zug 74292 nach Hohenau in Bewegung. Wir dachten alle, dass der Sonnenstand an der Strecke suboptimal sein würde, machten uns aber trotzdem weiter auf den Weg. Wir wurden nicht enttäuscht!!

    Das einzig wirkliche Problem war der starke und eiskalte Norwestwind, der für manchen Rauchschaden des Tages verantwortlich war. Aber mit fortschreitender Stunde legte sich auch der Wind. Beim Dechantshof blies er uns aber noch fest um die Ohren.

    Die Einfahrt in Wilfersdorf-Hobersdorf zeigt die typischen Häuserfronten der Streckdörfer des Weinviertels. Unser Fotografenbus paßte wunderbar zum Enesemble.

    Diese Stelle weckte Kindheitserinnerungen in mir: Mein Vater stammt aus dem Weinviertel und jeden Sonntag ging es auf der alten Brünner Straße in Richtung Poysodrf. Dabei querten wir viermal die Nebenstrecken des Weinviertels in Eibesbrunn, Gaweinstal, Wilfersdorf-Hobersdorf und Poysdorf. Jedesmal schaute ich neugierig aus dem Auto ob ich eine Dampflok sehen würde und oft sah ich auch eine 93ger mit einem Personenzug in Wilfersdorf. Daher war ich besonders gerührt, als ich diese Szene rund dreissig Jahre später fast unverändert festhalten konnte.

    Weiter geht es nach Ebersdorf. Auch hier war der Wind ein unguter Geselle es gelang aber doch eine schöne Einfahrt in die Haltestelle fest zu halten.

    Bei der ehemaligen Halte- und Ladestelle Prinzendorf-Rannersdorf wartet schon lange kein Autobus auf die Bahnreisenden mehr. Auch die Ladegleise werden schon lange nicht mehr benützt und träumen von früheren Zeiten.

    Obwohl die Strecke im Zayatal relativ flach ist, mußten sich die 93.1420 und die 52.4984 bei jeder Anfahrt doch anstrengen um den schweren Rübenzug wieder in Gang zu bringen. So auch bei der Ausfahrt in Prinzendorf-Rannersdorf.

    Im Hauskirchner Bogen präsentiert sich der Rübenzug in der typischen Landschaft des Weinviertels.

    Die Ortsdurchfahrt von Hauskirchen ist weit über die Region hinaus bei Eisenbahnfreunden bekannt. Mehrere Stellen ermöglichen schöne Motive. Hier einmal der Bogen vor der EK.

    Ein Stück flussabwärts kann man die Züge mit der Kirche von Hauskirchen aufnehmen. Sie wurde im 14. Jhdt erstmals urkundlich erwähnt und ist dem Hl. Laurentius geweiht. Ihre heutige Form erhielt sie in den Jahren 1897 bis 1899.

    Danach erreicht die Strecke die Erdölfelder bei Neusiedl an der Zaya. Der gleichnamige Bahnhof hatte gemeinsam mit Dobermannsdorf ausgedehnte Anlagen zur Erdölverladung auf die Bahn. Lange Reihen von Kesselwagen prägten das Erscheinungsbild dieser Bahnhöfe. Es gab sogar in den Fünfziger Jahren eine eigene Verschubreserve in Dobermannsdorf um die zahlreichen Reparationszüge in die Sowjetunion zusammen zu stellen. Am 9.12.2012 ist das alles Geschichte als der Rübenzug 74292 den ehemaligen Bahnhof erreicht.

    Hinter Neusiedl-St. Ulrich donnern die beiden Maschinen mit dem Rübezug nach Dobermannsdorf. Der Wind hatte ein wenig nachgelasssen und mächtige Rauchwolken zeigten den Fahrtweg des Zuges in der weiten Landschaft. Ich lasse die nächsten drei Bilder einfach so stehen – zum genießen.

    Hinter dem Bahnhof Dobermannsdorf gibt es bei der Flur Oberer Sand eine starke Steigung in Richtung Hohenau. Dort gibt es mehrere Möglichkeiten Züge in Szene zu setzen. Spätestens jetzt stellte sich heraus, dass die späte Abfahrt in Mistelbach gar nicht so nachteilig war, sonst wären die nachfolgenden Stimmungen nicht entstanden. Zuerst einmal eine Gegenlichtaufnahme des bergfahrenden Zuges mit der Pfarrkirche von Dobermannsdorf .

    Dann das ganze von der „Lichtseite“ in den Strahlen der untergehenden Sonne. Die beiden Maschinen mußten sich mächtig ins Zeug legen um den Zug über die Steigung zu bringen.

    Vor dem Einfahrvorsignal von Hohenau zeigten 93.1420 und 52.4984 noch einmal was in ihnen steckt. Im allerletzten Licht des Tages leuchtet die mächtige Rauch und Dampfwolke in zartem rosa auf, während der Rübenzug 74292 seine letzten Meter nach Hohenau zurücklegt.

    Mit einer schwarz-weiß Aufnahme der 52er vor dem Aufnahmegebäude des Bahnhofes Hohenau beende ich diese Reise durch den Hauch der Geschichte.

    Zum Schluss möchte ich mich bei allen Tirebfahrzeugführern und Heizern, sowie dem Verein Neue Landesbahn herzlich für ihr Engagement und diesen Ohren und Augenschmaus bedanken.

    2 Mal editiert, zuletzt von 1670.24 (17. Dezember 2012 um 05:01)

  • Auch von meiner Seite ein herzliches Dankeschön für Deinen Nostalgie-Ausflug.

    Zur Dokumentation, dass der Ostbahnhof bzw. Südbahnhof-Ostseite seit 9. 12. 2012 Geschichte ist, die Abfahrtsanzeige, die die beiden letzten Züge, die den Bahnhof verlassen haben, zeigt:


    Foto: dr. bahnsinn

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Zuerst Ostbahn, dann Mistelbach - hast Du da die gesamte Nacht durchgemacht? Alle Achtung! Wär nichts für mich.

    LG 2020.01

    Der Schienenverkehr wird durch Schienenersatzverkehr ersetzt.