New York: 100 Jahre Grand Central Terminal

  • New Yorks Bahnhof: "Grand Central Station" sagen nur die Touristen

    Frank Herrmann, 31. Jänner 2013, 05:30.

    Der Grand Central Terminal, der vielleicht berühmteste Bahnhof der Welt, wird dieses Wochenende 100 Jahre alt. Eisenbahnfans hoffen, dass das Jubiläum die Bahn in den USA wieder populärer machen kann: Erste Hochgeschwindigkeitsstrecken sind bereits geplant.
    New York - Das Überraschende ist, wie gelassen es zugeht in der Rushhour. Morgens um halb neun, wenn die Vorortezüge im Minutentakt in die Herzkammer Manhattans einfahren, wenn die Pendler mit ihren Laptop-Taschen in Scharen durch die prächtige Bahnhofshalle eilen, drängelt keiner, keiner rempelt, niemand wird laut. Es wirkt, als folgte der Menschenpulk einer gut einstudierten Choreografie. Und weil er beweisen möchte, wie viel Rücksicht man nimmt im Marmorambiente von Grand Central, rennt Justin Ferate, New Yorker Historiker und Eisenbahn-Fan, einmal im Kreis durch die Halle, die Arme ausgebreitet wie Kinder, die Flugzeug spielen.

    Nach vierzig Sekunden kehrt er zurück, keuchend und hochzufrieden. "Na, bin ich irgendwo angeeckt? Nicht ein einziges Mal." Sagt's und setzt sich mit ausgestreckten Beinen auf den cremefarbenen Kachelfußboden. Eine Fliese, will er demonstrieren, ist so lang wie die Beine eines normalgroßen Menschen, "vertraute Dimensionen, das scheint zu beruhigen" .

    Verwechslung mit Postamt

    Dann beeilt er sich, einen lrrtum zu korrigieren. Der wahre New Yorker spreche niemals von der Grand Central Station, damit sei ein Postamt gemeint, eines gleich um die Ecke. Der wahre New Yorker rede vom Grand Central Terminal, so stehe es ja auch an der Fassade. "Aufgepasst, wer Station sagt, gibt sich sofort als Tourist zu erkennen. Und wer will das schon?"

    Hundert Jahre alt wird das Juwel an diesem Wochenende. Als es eingeweiht wurde, am 2. Februar 1913, schwärmten zeitgenössische Kommentatoren von dem genialen "Bahnhof ohne Stufen", in dem Rampen nach dem Vorbild römischer Stadien die Treppen ersetzten, sodass es Greise, Schwerbepackte und Damen mit langen Kleidern leichter hatten als anderswo. Vorausgegangen waren der Eröffnung der Aufstieg eines Industriellen und ein Wettlauf zweier Bahngesellschaften.

    Der Industrielle, Cornelius Vanderbilt, Sohn armer Bauern mit niederländischen Wurzeln, hatte mit Schiffsrouten ein Vermögen gescheffelt, bevor er in die Wachstumsbranche Eisenbahn wechselte und eine Zeit lang den Zugverkehr nach Manhattan monopolisierte. Als er 1877 starb, hatte er schon das Grand Central Depot bauen lassen, den Vorläufer des heutigen Terminals. Und noch heute verfolgt Vanderbilt einen auf Schritt und Tritt. Kein Fahrkartenschalter, kein Kronleuchter, an dem nicht Vanderbilts Familiensymbole prangen, Eicheln und Eichenblätter.

    Wettrennen um Bahnhof 

    Das Rennen, es ließ die New York Central und die Pennsylvania Railroad darum wetteifern, wer den grandioseren Bahnhof Manhattans besitzt. Penn Station, 1910 im Westen der Insel eröffnet, machte den Anfang. Grand Central, weiter östlich, war die architektonische Krönung. Wenn Justin Ferate die alten Geschichten erzählt, bekommt seine Stimme einen nostalgischen Ton. Eisenbahnen liefern sich längst keine Wettrennen mehr in Amerika.

    Seit 1956 unter Dwight Eisenhower der Bau eines dichten Autobahnnetzes begann, seit jede mittelgroße Provinzstadt einen eigenen Flughafen erhält, gerät die Bahn klar ins Hintertreffen. Hier und da aber besinnt sich die Nation wieder auf die Vorzüge eines Verkehrsmittels, das - nach Ferates Worten - die Vereinigten Staaten einte, indem es Atlantik und Pazifik miteinander verband.

    Kalifornien plant den Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse von Los Angeles nach San Francisco. Die Hundertjahrfeier, hoffen die Schienenfreunde, könnte auch an der Ostküste eine Trendwende signalisieren. Von Boston über New York nach Washington in vier Stunden, das wäre schon was.

    Rettung vor der Abrissbirne

    Dabei gäbe es Grand Central schon nicht mehr, wäre Jacqueline Kennedy nicht energisch eingeschritten, die Präsidentenwitwe und New Yorker Lokalpatriotin. Die schöne, alte Penn Station fiel bereits 1963 der Abrissbirne zum Opfer, bevor sie durch eine hässliche Gruft ersetzt wurde, einen unterirdischen Terminal unter dem Madison Square Garden. Für das Beaux-Arts-Schmuckstück der Vanderbilts lagen ähnliche Pläne in den Schubladen; nach einer Skizze sollte das historische Portal eingebunden werden in einen Wolkenkratzer.

    "Ist es nicht brutal", fragte Jackie Kennedy, "unsere Stadt nach und nach sterben zu lassen, bis nichts mehr übrig ist von ihrer Geschichte und ihrer Schönheit, um unsere Kinder zu inspirieren?" Nach zehnjährigem Rechtsstreit entschied der Oberste Gerichtshof zugunsten der Denkmalschützer. 1978 war das - die Perle hatte da bereits viel von ihrem alten Glanz eingebüßt. Eine riesige Fotowand verstellte den Blick auf die einer Kathedrale würdigen Fenster, ein zentral platzierter Kiosk der Investmentbank Merrill Lynch störte die Laufwege.

    In 1990ern restauriert

    In den Neunzigern wurde der Bahnhof restauriert und entrümpelt, verwandelt in eine Pendlerdrehscheibe mit angeschlossenen Einkaufspassagen. Wer Dan Brucker zuhört, dem Sprecher des Pächters Metro-North, der begreift, was für ein Triumphgefühl das damals gewesen sein muss. "Alle haben gesagt, vergesst es, das kann nichts werden. Und heute zählen wir zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Welt", frohlockt Brucker.

    Puristen wie Justin Ferate gefällt bei Weitem nicht alles an dem neuen Konzept, zum Beispiel, dass Meistbietende den historischen Wartesaal mieten können und dort gerade ein Squash-Turnier ausgetragen wird. Doch die entscheidenden Wahrzeichen wurden gerettet: Der kobaltblaue Sternenhimmel und der kreisrunde Auskunftsschalter, gekrönt von einer goldglänzenden Uhr, die daran erinnert, dass es die Bahnunternehmen waren, die Amerika in Zeitzonen einteilten.

    Himmelsgewölbe aus Gottes Perspektive

    Das Himmelsgewölbe mit seinen gemalten Sternbildern - Orion, Wassermann, Pegasus - ist eine Geschichte für sich: Es wurde versehentlich verkehrt herum gemalt, als blicke man von oben aufs Firmament, nicht von der Erde aus. Da die Bahn 1913 nicht noch einmal von vorn anfangen wollte, erklärte sie den Anblick kurzerhand zu Gottes Perspektive: So sehe der Allmächtige die Sterne, wenn er auf sie herunterschaue.

    Und dann ist da noch Gleis 34, der Bahnsteig, von dem der 20th Century Limited in den Mittleren Westen ratterte, New York - Chicago in 16 Stunden. Es war Amerikas Pendant zum Orient-Express, ausgestattet mit Frisiersalon, eigenen Sekretärinnen und einem Postamt. 1967 legte der 20th Century die Strecke ein letztes Mal zurück. Um neun Stunden verspätet, brauchte er fünf Stunden länger als bei der Premierenfahrt 65 Jahre zuvor. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 31.1.2013)

    Quelle: Der Standard

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

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