[I/F] Dunkle Wolken über der Tendabahn

  • Im Today's Railway-Magazin 12/2013 ist zu lesen, dass sich über der Tendabahn dunkle Wolken zusammenbrauen. Trenitalia hat mit dem vergangenen Fahrplanwechsel die Zahl der in der Relation Cuneo - Ventimiglia verkehrenden acht Zugpaare radikal auf zwei Zugpaare reduziert und das trotz einer Auslastung von 80 - 100 Fahrgästen pro Zug.*) Dazu kommt, dass trotz ausreichend vorhandener Geldmittel zur Streckensanierung ab Fahrplanwechsel seitens SNCF und RFF die v/max ab Breil-sur-Roya Richtung Norden auf 40 km/h gesenkt wurde.**)
    Um den Wegfall von sechs Zugpaaren einigermaßen zu kompensieren, hat die Region Provence-Alps-Cote d'Azur zwei Zugpaare Breil-sur-Roya - Tende in Betrieb gesetzt. Außerdem hat die Region bei SNCF und Trenitalia um Zulassung der französischen AGC Dieseltriebwagen für die Relation Tende - Limone angesucht, damit ab Limone Anschlüsse von und nach Turin hergestellt werden können. Bis Tende sind die AGC-Tw. jetzt schon zugelassen und fahren in den Sommermonaten ein durchgehendes Zugpaar Nizza - Tende.***)

    *) Die gute Auslastung der Züge kann ich bestätigen. Als wir im Juni 2011 mit einem FS-Minuetto von Tende nach Ventimiglia fuhren, waren keine Sitzplätze frei. Hier der aus Cuneo kommende Minuetto 047 bei der Einfahrt in den Bahnhof Tende:

    **) Bisher betrug die v/max 80 km/h.
    ***) Als Train des Merveilles (Zug der Wunder)". Auf dem Foto ist der AGC X 76583 im Bahnhof Tende während des Wendeaufenthalts zu sehen:

    Fotos: dr. bahnsinn

    Quelle: Today's Railways 12/2013, S. 40.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Irgendwie finde ich, dass diese modernen Züge nicht zu der irgendwie vernachlässigt wirkenden Strecke (ziemlich viel Grün im und um das Gleis) passen...

  • Irgendwie finde ich, dass diese modernen Züge nicht zu der irgendwie vernachlässigt wirkenden Strecke (ziemlich viel Grün im und um das Gleis) passen...


    Es fahren bzw. fuhren eh nicht nur moderne Fahrzeuge über die Tendabahn, sondern auch noch die altehrwürdigen FS-Diesel-Tw. der Reihe Aln 668 und Wendezüge mit Dieselloks der Reihe D.345.
    Der Fahrplan des von uns zwischen Nizza und Tende benützten Train des Merveilles war auch noch für eine ältere Triebwagen-Reihe und nicht für den modernen AGC (Autorail à Grande Capacité) ausgelegt, denn unser Zug war auf dem steilen Abschnitt zwischen Breil-sur-Roya und Tende in jeder Station um einige Minuten zu früh dran. Als das Zugpersonal im Bahnhof St. Dalmas de Tende am Bahnsteig wieder eine Rauchpause einlegte, fragte ich, ob wir nach der Zugkreuzung in Fontan-Saorge schon wieder einen Gegenzug abwarten müssten. Der Tfzf. tippte auf seine Uhr und ich wusste Bescheid: zu früh dran. Nach einer über fünfminütigen Rauchpause ging es weiter und in Tende waren wir wieder vier Minuten zu früh.
    Aber Tatsache ist, dass der Streckenzustand der Tendabahn zu wünschen übriglässt. Es verwundert mich daher auch nicht, dass ab Breil-sur-Roya die v/max von bisher 80 km/h auf 40 km/h reduziert wurde.
    Auch die 44 km lange Zweigstrecke Nizza - Breil-sur-Roya war, als wir sie im Juni 2011 befuhren, in einem beklagenswerten Zustand. Bis zum Bahnhof Drap-Cantaron (km 9 ab Nice Ville) war der Zustand okay. Ab da folgte eine LA nach der anderen und im kapp 6 km langen Tunnel du Col Braus wurden wir durchgebeutelt wie auf einer mit Schlaglöchern übersäten Straße.
    Ich vermute, dass die Vernachlässigung der Strecke zwischen Breil-sur-Roya und dem Tenda-Scheiteltunnel damit zu tun hat, dass sich offenbar angesichts der etwas eigenwilligen betrieblichen Situation*) weder RFF (Réseau Ferré de France) noch RFI (Rete Ferroviaria Italiana) für die Streckenerhaltung verantwortlich fühlen, obwohl es eigentlich vertraglich geregelt sein müsste.

    *) Die Strecke liegt zwar in Frankreich, den Betrieb wickelt aber FS ab. Auch die Signalanlagen (mit Ausnahme derer von Breil-sur-Roya) sind italienischer Provenienz.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Das ist ein weitverbreitetes französisches Übel, die Strecke komplett vernachlässigen aber hypermoderne Fahrzeuge haben.

    Beispiele: Chemins de fer de Provence (Meterspurstrecke von Nice nach Digne), Le Canari (auch eine meterspurige schmalspurbahn, da gibt's schöne, neue Stadler-GTW auf komplett vernachlässigtem Oberbau) etc...

    Das mit der Geschwindigkeitsreduktion erinnert mich ein bissl an die "Blanc-Argent", dort hat die RFF auch scheinbar über Nacht 40 verhängt. Dass die zuständige Region über Jahre hinaus nicht bereit war, die Sanierung zu zahlen, ist natürlich nicht so sehr publik. Wird wohl bei der tenda-Bahn nicht viel anders sein.

    Dass die Treniatlia beim derzeitigen Zustand der italienischen Staatskasse spart wo geht, ist wieder eine andere Sache.

  • Zitat

    Beispiele: Chemins de fer de Provence (Meterspurstrecke von Nice nach Digne), Le Canari (auch eine meterspurige schmalspurbahn, da gibt's schöne, neue Stadler-GTW auf komplett vernachlässigtem Oberbau) etc...


    Ganz vernachlässigt wird der Oberbau auch in Frankreich nicht. Die-Strecke CP hat man z. B. im Jahr 2011 auf den ersten 25 km zwischen Nizza und dem Bahnhof Plan du Var bei La Vésubie um 30 Mio. Euro saniert (siehe Foto unten, aufgenommen zu Pfingsten 2011). Aber das in F abseits der TGV-Strecken viel im Argen liegt, ist unbestritten.


    Foto: dr. bahnsinn

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Ganz vernachlässigt wird der Oberbau auch in Frankreich nicht. Die-Strecke CP hat man z. B. im Jahr 2011 auf den ersten 25 km zwischen Nizza und dem Bahnhof Plan du Var bei La Vésubie um 30 Mio. Euro saniert

    Da war der Oberbau aber schon am Auseinanderfallen. Anders kann man das nicht nennen. Auch auf dem "Canari"(*) haben mittlerweile Streckenmodernisierungsarbeiten begonnen.


    (*) der heisst im Volksmund so, weil er gelb wie ein Kanarienvogel ist

  • Ein neues Fahrzeug verkauft sich in der Presse halt besser, als wenn man kontinuierlich Geld in die Erhaltung investiert. Erst wenn der Oberbau auseinander fällt, kann man wieder medial zig Millionen medienwirksam hineinstecken.
    Eine ordentliche Wartung hätte vielleicht ein Drittel weniger gekostet, aber dies interessiert zu oft leider niemanden.

  • Ein neues Fahrzeug verkauft sich in der Presse halt besser, als wenn man kontinuierlich Geld in die Erhaltung investiert. Erst wenn der Oberbau auseinander fällt, kann man wieder medial zig Millionen medienwirksam hineinstecken.
    Eine ordentliche Wartung hätte vielleicht ein Drittel weniger gekostet, aber dies interessiert zu oft leider niemanden.

    Das dürfte in etwa der grund sein, wobei die ETH Lausanne schon eine Studie im Auftrag der RFF gemacht hat, in der sie zum Schluss gekommen ist, dass im frz. Netz zu wenig in laufende Erhaltung investiert wird.

  • Laut EÖ-Heft 8/2014, S. 410 scheinen sowohl SNCF als auch FS alles daranzusetzen, um der Tendabahn das Lebenslicht auszublasen, wobei ihnen auch noch die Firma Schütt&Spül Schützenhilfe in der Form leistet, dass der Nizza-Ast bei Nice-St-Roch Ende Januar durch einen Erdrutsch unterbrochen wurde und mit einer Wiederaufnahme des Verkehrs frühestens im September gerechnet werden kann. Seither verkehren hier die Züge nur zwischen Drap-Cantaron und Breil-sur-Roja, wobei ein Zugpaar bis ab Tende verkehrt. Begonnen hat alles damit, dass FS zum Fahrplanwechsel 2013/14 die gut ausgelasteten acht Zugpaare zwischen Ventimiglia und Cuneo auf zwei (je eine Früh- und Abendverbindung) zusammengestrichen und die v/max. von 80 auf 40 km/h halbiert hat. Jetzt haben die SNCF in Breil-sur-Roja die Anschlüsse gebrochen, sodass man aus Nizza kommend in der Früh in Breil 45 min und am Abend 30 min auf den Anschluss warten muss.
    In den SNCF-Fahrplanmedien sowie bei Fahrplanabfragen scheinen die Verbindungen nach Italien nicht auf, ebensowenig auf den Abfahrtsbildschirmen im Bahnhof Tende. Der (französische) Schalterbeamte in Tende verkauft keine Fahrkarten in Richtung Italien, sodass man die Fahrkarten beim Zugbegleiter (sofern er überhaupt kommt :D *)) kaufen muss. Dieser verkauft aber nur Fahrkarten ab dem ersten, auf italienschem Staatsgebiet liegenden Bahnhof Limone, sodass man die 18 km zwischen Tende und Limone ganz offiziell "schwarz" fährt.
    Interessant ist auch, dass die v/max. von 40 km/h nur für den französischen Abschnitt gilt. Sobald der Trenitalia-Zug im Tenda-Tunnel die Staatsgrenze zu Italien überfährt, beschleunigt er wieder auf die v/max. von 80 km/h.

    Es wird also nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis die mit großem finanziellen Aufwand nach dem 2. Weltkrieg wiederaufgebaute Tendabahn Geschichte sein wird.

    *) Als wir das letzte Mal mit einem Trenitala-Zug dort fuhren, kam während der ganzen Fahrt kein Zugbegleiter vorbei, weshalb unsere Fahrt zwischen Tende und Ventimiglia eine Freifahrt war. Statt Fahrkarten zu kontrollieren, saß der Zb lieber bei offener Tür im Führerstand, um mit Lokführer und Beimann zu palavern.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor