Betriebsstörung - Macht die Bahn noch mobil? (3sat Reportage über die DB-AG)

  • Link zur Reportage (Dauer 43:51 Minuten, bis 12.2.2015 online)

    Marode Brücken, kaputte Weichen: Die Deutsche Bahn hat das Schienennetz verwahrlosen lassen und lieber schicke Fernzüge gekauft, so die Vorwürfe vieler passionierter Bahnfahrer. Sind die verspäteten, übervollen Züge zu Hauptverkehrszeiten vielleicht nur das Symptom einer Krankheit, die schon nach der Wiedervereinigung begann? Was ist los mit dem Schienennetz? Warum betrieb die Bahn AG Busse auf der Insel Malta?

    Über die Bahn zu schimpfen ist Volkssport. Doch die Bahn ist ein hochkomplexes System, von dem sich der Laie nicht annähernd eine Vorstellung machen kann, wie es funktioniert. Das betriebene Schienennetz umfasst ca. 33.500 Kilometer Länge (fast einmal um die Erde) und die Bahn muss sich um rund 25.000 Brücken kümmern, um nur wenige Zahlen zu nennen.

    Mainz wurde nicht mehr vom ICE angefahren

    Doch auch Fahrgäste können erkennen, das etwas nicht stimmt, wenn im Stellwerk Mainz so viel Personal fehlt, dass die Rheinland-pfälzische Hauptstadt im Sommer 2013 monatelang von dem Rest Deutschlands abgehängt war. Fernzüge konnten Mainz nicht mehr anfahren. Wie kommt es zu solchen Pannen? Die Verkehrsexperten der Opposition, wie der Fraktionsvorsitzende Toni Hofreiter von den Grünen, machen unter anderem eine verkehrte Weichenstellung Anfang dieses Jahrhunderts für die missliche Lage der Bahn verantwortlich. Die Bahn wurde damals eine Aktiengesellschaft, die Gewinne erwirtschaften sollte. Die Bahn sollte ein international aufgestellter Konzern werden, dessen Aktien an der Börse gehandelt werden.

    Spagat zwischen Staatsauftrag und Börse

    Vor allem im Personen-Fernverkehr sind kurzfristig Gewinne möglich. So wurde in Schnellfahrstrecken und in Großprojekte wie Stuttgart 21 investiert, berichtet Hofreiter. Die Kosten für solche Projekte sind meist am Ende viel höher als geplant und der Nutzen umstritten: Auf der sechs Milliarden Euro teuren Prestige-Strecke Frankfurt - Köln fahren pro Stunde und Richtung nur 2,4 Züge. Prognostiziert wurden bei der Planung sechs Züge. Damit steht auch die Wirtschaftlichkeit dieser Strecke infrage. Auf dem Land, fern der Ballungszentren, wurde das kostenintensive Schienennetz erheblich reduziert. Viele kleine Bahnhöfe mussten dichtmachen, und der Interregio wurde eingestellt. Der Spagat zwischen staatlichem Dienstleister und börsennotiertem Logistikkonzern mit weltweiten Ambitionen könne auf Dauer nicht gut gehen, so auch die Meinung vieler überparteilicher Experten.

    Stellwerke aus Kaiser Willhelms Zeiten

    Auch in die bestehende Infrastruktur wurde bisher nicht genug investiert: Jede dritte der 25.000 Eisenbahnbrücken ist älter als 100 Jahre, und 1400 Brücken sind dringend sanierungsbedürftig. Auch Bahnhöfe verfallen und Gleisanlagen verrotten. Hunderte Stellwerke müssten dringend erneuert werden. Jedes Dritte stammt noch aus der Zeit, als Deutschland von einem Kaiser regiert wurde, und die Weichen werden oft mit Seilzügen gestellt. Die Bahn sei chronisch unterfinanziert, sagen viele Verkehrsexperten. Selbst der Bahnchef Rüdiger Grube spricht von einem "Investitionsstau bei der Deutschen Bahn". Rund 30 Milliarden Euro fehlen der Bahn um bröselnde Brücken, Schienen und Stellwerke zu erneuern, klagt Grube. Wenn sich nichts tut, droht das Schienennetz zu kollabieren, warnen Experten. Deutschland investiere jährlich gerade mal 51 Euro pro Einwohner in die Schiene, in der Schweiz seien es 349 Euro. Sogar der frühere Bahn-Chefs Johannes Ludewig klagt über mangelnde Investitionen ins deutsche Schienennetz: "Wir leben von der Substanz, wirtschaften das System runter."

    Deutschland Autoland - Bevorzugung der Straße

    Doch in der politischen Debatte um den Zustand der Infrastruktur in Deutschland spielt die Bahn fast keine Rolle. Benedikt Weibel, ehemaliger Bahnchef der Schweiz und europäischer Spitzen-Bahnmanager, meint die Antwort zu kennen. Es fehle an der Wertschätzung für die Bahn seitens der Politik. Es entsteht tatsächlich der Eindruck, die Verkehrsminister würden sich lieber mit Pkw-Maut für Ausländer, Autobahnbrücken und Schlaglochdebatten beschäftigen. Die Stellung der sehr umweltfreundlichen und wenig Fläche verbrauchenden Bahn in der Verkehrspolitik ist in der Schweiz eine ganz andere. "Bahn zuerst", ist das Credo, wenn es um LKW-Transit oder den Weg zur Arbeit geht. Auch in der Pünktlichkeitsstatistik lässt die Schweiz die Deutsche Bahn weit hinter sich.
    Die massiven Preissteigerungen der letzten Jahre seien auch Ausdruck der Zielvorgabe "Börsenfähigkeit": So sind die Preise in Deutschland in den vergangenen zwölf Jahren um 21 Prozent, die Kosten für S-Bahn-Tickets sogar um 53 Prozent gestiegen. Und das, obwohl der Bund Milliarden in das System steckt. Auch die Regionalpolitik muss tief in die maroden Kassen greifen, damit die Bahn, gerade in der Provinz, Verbindungen weiter aufrechterhält. Doch die Bahn stelle sich lieber global auf: Von 300.000 Mitarbeitern sind ein Drittel im Ausland beschäftigt und 1.000 in Tochterunternehmen. Auf Malta hat eine DB-Tochter mit Namen "Arriva" 50 Millionen Euro in den Sand gesetzt. "Arriva" sollte dort den Busverkehr übernehmen. In London ausgemusterte Gelenkbusse, die in den engen Gassen steckenbleiben, in der Hitze sogar in Brand gerieten, wurden nach Malta geholt. Über die Affäre stürzte sogar die maltesische Regierung, und "Arriva" machte große Verluste .

    Können Konjunkturpakete helfen?

    Im Oktober 2014 hatte die Bundesregierung und die Deutsche Bahn ein vier Milliarden Euro schweres Paket zur Sanierung des Schienennetzes beschlossen. In den letzten Jahren waren nur 2,5 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Ein wichtiger Beitrag, doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Die Investitionen in die Bahn liegen weit unter denen in die Straße, und es ist auch schon vorgekommen, dass verfügbare Mittel gar nicht abgerufen worden sind. Bei dem 1,75 Milliarden Euro Konjunkturpaket im Jahr 2012 ging die Schiene fast leer aus. Die Bahn hatte keine fertigen Pläne für konkrete Bauprojekte in der Schublade. Das Geld floss überwiegend in den Straßenbau.

    Die Reportage von Tilman Achtnich und Hermann Abmayr, die Sie am Freitag, 6. Februar 2015, 20.15 Uhr sehen können, sucht nach den Hintergründen des Bahnärgers, ist unterwegs mit Pendlern, in überfüllten Zügen, auf maroden Bahnhöfen und befragt Bahnmanager und Politiker: Warum haben wir hier keine bessere Bahn? Und wenn die Aufgaben zu Hause schon nicht befriedigend erledigt werden, warum tummelt sich der DB-Konzern rund um den Globus mit seinen Geschäften? Benedikt Weibel ist zusammen mit dem Filmteam unterwegs auf Schienen und zeigt, was man von den Schweizer Nachbarn lernen kann.

    Quelle: 3sat online