Eritrea 2018 - 8: Morgen in Asmara I (50 B.)

  • Hallo!


    Zum vorherigen Teil der Serie:
    Eritrea 2018 - 7: Kamele, Esel- und Radrennen (50 B.)
    http://www.mstsforum.info/index.php?topic=3934.0


    Das Video zur Serie:


    24. 10. 2018

    Wir fahren mit dem Bus bergwärts von Nefasit nach Arbaroba. Unten sieht man den Streckenverlauf mit der verlassenen Station Lessa. Dampflok sollte eine bergwärts und ein Ersatz talwärts unterwegs sein, doch hier ließ sich keine der beiden blicken.


    In Arbaroba fand man tatsächlich eine bisher nicht in Aktion erlebte Maschine vor: 442.55 - mit einem bisher nicht in Aktion erlebten Personenwagen. Schaut ihn euch genauer an, denn den werden wir nicht mehr auf dieser Reise sehen.
    Dieser Waggon ist etwas besonderes, denn es handelt sich um den ehemaligen Gouverneurswagen von 1913. Heutzutage sind alle Waggons dieser Lieferung in dritte Klasse umgewandelt. Später - 1952, als Eritrea nach einem Jahrzehnt britischer Administration Äthiopien einverleibt wurde - war der Wagen auch als kaiserlicher Zug anlässlich eines Besuchs von Haile Selassie verwendet worden.


    Es trafen sich zwei Loks unter Dampf in Arbaroba, 442.54 stand ebenfalls da.


    Nicht zu früh freuen: Bernd inspizierte die 442.55 genauer und stellte fest: beide Injektoren funktionieren nicht. Da hatten wir also eine volle Station, aber nur defekte Maschinen... Würden wir am nächsten Tag auf der Strecke fahren können?


    Die folgenden Bilder aus der Stadt Asmara stammen vom 24., 25. und 29. 10. 2018.

    Unser morgendlicher Blick auf die Straße vor dem Savannah International Hotel. Im Hof daneben fand sich diese Installation... vermutlich nicht, aber es könnte ja eine Kolonialismuskritik sein: der italienische Stiefel, der auf die afrikanische Palme trampelt.


    Am 29. 10. 2018 war Stadtbesichtigung angesagt, wir ließen es gemütlicher angehen - daher der Sonnenstand. Ich fotografierte im Vorbeifahren aus dem Bus.
    Das Schild am Haus ist bezeichnend für den derzeitigen Zustand des Nachbarlandes jenseits des Roten Meeres. Eritrea beherbergt eine Militärbasis der Vereinigten Arabischen Emirate nahe der Hafenstadt Assab im Südosten für den Krieg im Jemen.


    In der Nähe des fotografisch verbotenen Regierungssitzes.


    Blick die zentrale Harnet (= "Freiheit") Avenue entlang.


    Bushaltestellen an der 1921-23 gebauten katholischen Kathedrale. Wir werden die Hauptsehenswürdigkeiten noch genau besichtigen.


    Grund für die Einrichtung des UNESCO-Welterbes "Asmara: a Modernist City of Africa" im Jahr 2017: Das Stadtbild mit vielen Art déco-Gebäuden aus der italienischen Kolonialzeit. Darunter einige Kinos wie das Cinema Impero, welches in einer späten Phase - im Jahr 1937 - errichtet worden war (der Name des Kinos nimmt Bezug auf das neue "römische Imperium" Mussolinis, das bald darauf wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrach - nach der misslungenen italienischen Invasion Äthiopiens nahmen Truppen unter britischer Führung Eritrea relativ locker 1941 ein, das war einer der ersten Gewinne der Alliierten im 2. Weltkrieg).

    Mehr über Asmara erfährt man hier:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Asmara


    Die christlichen Plakate an vielen Wänden erinnerten mich an Bulgarien.



    Am 25. 10. 2018 sammelten wir ein paar Tourteilnehmer vom Albergo Italia ein - das Innere habe ich schon im ersten Reportageteil gezeigt.


    Anschließend ging es zum Bahnhof.


    Das erwartete uns: B-Kuppler 202.008 - hinter 202.010 - wurde angeheizt. Zumindest am Vormittag würden wir nichts entlang der Strecke machen können. Also wurde das Samstagsprogramm im Depot vorgezogen. Beide 442 in Arbaroba waren nicht einsatzfähig, zusätzlich wurde leider einer der einzigen zwei Lokführer krank - sie sind nicht mehr die Jüngsten - und musste ins Spital eingeliefert werden. Es dürfen nur Lokführer Maschinen anheizen, daher wurden Menschenkraft und Optionen knapp. Eine Option existierte noch, davon später mehr.


    Es bot sich ein seltsames Schauspiel... selbst Bernd hatte das noch nie auf seinen Weltreisen erlebt: die Maschine nahm Wasser mit Hilfe von Kübeln!


    Die Schuppen-Dampf-Lichtstimmung ließ den Auslöser rauchen. :0)


    Das Fabriksschild stimmt auch hier nicht, es ist jenes der 202.04. Das Original lautet: 202.008 (ex 202.108, Breda/Milano Nr. 2454, Baujahr 1937).




    Die Ural-Lok Nr. 2 zog zunächst 202.010 unterstützt von Muskelkraft aus dem Schuppen.



    Der Bahnhof Asmaras ist bekannt als Revier riesiger Spornschildkröten, sogar Touristen kamen extra wegen ihnen hierher. Das Tier verfolgte die Teilnehmer der Tour den ganzen Tag über mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Beharrlichkeit, was an später beobachteter Paarungsbereitschaft liegen könnte.
    Mehr zur drittgrößten lebenden Landschildkröten-Spezies, die in einem schmalen Band über das nördliche Zentralafrika von Küste zu Küste heimisch ist: https://de.wikipedia.org/wiki/Spornschildkr%C3%B6te


    Der Heiligenschein.


    202.010 wurde aus dem Weg geschafft. Die Dame im Bild ist die Chefin der Bahn.




    Nun wurde die Ural-Lok Nr. 2 zurückbeordert, um die 202.008 aus dem Schuppen zu ziehen. Die Kübel Wasser reichten zum Anheizen, fahren traute man sich so nicht. Es musste gesandet werden - hier wusste man, wie es geht, auf der Bergstrecke wurde es aus irgendeinem Grund vernachlässigt.

    Siehe Video hier:
    https://youtu.be/vBqI3qUHE2g?t=2379

    Die gezeigte Traktionsleistung lässt das Motiv des 10-Nakfa-Scheins noch unrealistischer erscheinen:
    http://raildata.info/eritrea18/eri0110.jpg


    Es kam der schon am Devil's Gate gesichtete Wasser-LKW zum Einsatz. Wie bekannt wurde, war auch die Wasserpumpe des Depots defekt. Lösungsvorschläge wie den LKW auf die nahe Laderampe fahren oder eine Wasserpumpe mieten wurden ausgeschlagen. Stattdessen bildete man eine Menschenkette zum Wassertransfer per Schlauch. Das war nur für die kleine Maschine praktikabel.




    Die Tür der Ural-Lok Nr. 2.


    Schön, aber half nichts.


    Die Schildkröte hatte es auch auf den LKW abgesehen - sie schaffte es sogar, ihn über die Räder leicht zum Wackeln zu bringen. Man beachte "Calabrese" auf der Ladefläche. Im Vordergrund die Drehscheibe - die ebenfalls steckte.


    Schaufeln auf die alten Tage...
    Nicht, dass es das woanders nicht ebenso gibt - wie hier bei der HSB: http://raildata.info/1B1T/1B1T070402.jpg




    Der Junge verschüttete zunächst seine Scheibtruhenladung, nach erneutem Hineinschaufeln ging es weiter. Ansonsten sahen wir fast nur alte Bahnarbeiter.
    Im Hintergrund 442.56, die optisch gut wirkte aber angeblich nicht ging.



    Theoretisch waren wir nun bald abfahrbereit - weiter mit dem Ausflug zur Werkstätte geht es im nächsten Teil.


    Wir kehren am 29. 10. 2018 zurück ins Stadtzentrum. Schuhputzer sind häufig zu sehen. Viele Eritreer tragen jedoch die Standard-Plastiksandale wie der Herr im Vordergrund. Sie sind denke ich das selbe Modell, wie ich es in den 1980ern am Strand in Jugoslawien hatte.


    Den Bus parkten wir in der Nähe der Markthalle.


    Die 1906 errichtete Synagoge ist nach der griechisch-orthodoxen Kirche das zweitälteste Gotteshaus Asmaras.


    Wir wurden empfangen vom letzten verbliebenen Mitglied der einst substantiellen jüdischen Gemeinde, welche sich aus ökonomischen Gründen und aufgrund der Verfolgung dort ansiedelten. Eritrea wurde nach dem 2. Weltkrieg von Briten für Internierungslager jüdischer Aufständischer in Palästina genutzt, darunter befand sich auch der spätere erste israelische Premier Jitzchak Schamir.

    Die Geschichte der Juden Eritreas (auf Englisch):
    https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_the_Jews_in_Eritrea

    Es existierten in Äthiopien auch schon Jahrtausende zuvor Formen des Judentums, nun sind fast alle nach Israel ausgewandert:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Beta_Israel

    Ein BBC-Artikel über unseren Gastgeber Samuel Cohen von 2006 (auf Englisch):
    http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/4955088.stm


    Das imposante Innere wurde beleuchtet. Den Kern der Gemeinde Anfang des 20. Jhdts bildeten Kaufleute, das Land für religiösen Gebrauch wurde von der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Asmara war von der italienischen Kolonialmacht praktisch neu gebaut worden, vorher existierten hier nur Dörfer. Daraus resultiert das einheitliche Stadtbild.


    Der zwei Torarollen beinhaltende Toraschrein wurde für uns geöffnet.


    Eine Stunde erfuhren wir viel über die Geschichte der Stadt. An der Synagoge hatte der Herr auch kleine Museen eingerichtet, eines für Queen Elizabeth II. Er sah die aktuelle Situation in Asmara positiv, besonders auch den neuen Friedensprozess, der eigentlich auf dem schon 2002 verhandelten Grenzabkommen nach dem letzten Krieg mit Äthiopien 1998-2000 basiert. Ebenso fand er, dass Eritrea sehr ruhig sei und alle Religionen in Frieden zusammen leben. Dazu wurde auch ein Bild mit den religiösen Führern und Langzeit-Präsidenten Isayas Afewerki (den er stets mit "seine Exzellenz" bezeichnete) präsentiert.

    Die Verfolgung von Menschen, die nicht den dominanten Glaubensströmungen angehören, ist jedoch häufig. Dazu darf man die Statistiken Eritreas nicht vergessen, z.B.:
    Rang 179/180 im World Press Freedom Index 2018
    Rang 151/167 im Demokratieindex 2017
    Rang 180/187 im Index der BIPs pro Kopf 2017

    Auffallend ist die schnelle Kooperation wenige Monate nach dem Friedensschluss zwischen Eritrea und Äthiopien, so wie hier in einer Zeitung jene der Fluglinien.



    Draußen auf der Straße.


    Gleich ein Art déco-Gebäude gegenüber.


    Mehr von Asmara nächstes Mal! :)